3 ')^' n . :^\ ' 1 m ^ ?^i'!> W^i^W^'"^^ ^'^ IT.' H 4 DB 914 L8 \ DIE MAOTAREN UND DIE MAGYAEEN UND ANDERE UNGARN VON FRANZ VON LÖHER. LEIPZIG, rUES'S TERLAG (R. REISLAND). 1874. VORREDE. ^^Ich brachte die Liebe zu meinem Volke mit und den Stolz ein Deutscher zu sein" — so begann ich im Jahre 1847 auf der Reise in Cincinnati meine „Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika"^ und schloss mit dem Hinweis, dass Deutschland bald wieder seine alte Hegemoniestellung in der Mitte Europas einnehme. Wie haben damals Yankees und Landsleute dieser "Worte wegen gehöhnt und gespottet! Jetzt strömen mir von allen Enden der Vereinigten Staaten Briefe und Druckschriften zu über den fröhlichen Aufschwung der Deutsch-Amerikaner. Als mein Werk „Jakobäa von Bayern und ihre Zeit, acht Bücher niederländischer Geschichte" von Holländern über- setzt wurde, glaubten sie Natur und Volk der Niederländer wie im treuen Spiegel darin wiederzuerkennen, und wenn die Stelle in der Einleitung „Die lange Trennung scheint allmählig zu enden : das Völkergewissen zieht und fügt leise wieder zu- sammen, was zusammengehört" im Jahre 1861 noch ein wenig anstiess, so finden jetzt Viele der Besten dort unten an den Rheinmündungen diesen Gedanken ganz natürlich. Noch jüngst meinte das Londoner Athenäum in meiner Schrift „Aus Natur und Geschichte von Elsass-Lothringen" „in its discription of the country and its inhabitants a w^onder- fully accurate and thorough knowledge" zu finden, und auch die berühmte Feder eines geborenen Elsässers versagte nicht ihr Wohlwollen. VI Es thut mir wahrlich noth, solche und andere Beispiele mir vorzuhalten, um den Magyaren nicht am Ende selbst zu glauben, in Völkererkenntnis s wäre ich mit unseliger Blind- heit geschlagen. Welch ein wüthendes Geschrei und Gelächter haben ihre Blätter über jeden meiner harmlosen Ungarn- Artikel in der Allgemeinen Zeitung angestimmt! Aber warum erhielt ich denn von ganz Unbekannten aus Oesterreich Ungarn und Siebenbürgen Zuschriften, ich möge den Magyaren doch noch etwas mehr die Wahrheit sagen? In Folge aber der Angriffe und Zustimmungen ist allmählig dieses Buch entstanden. Sollte es denn wirklich jahrelanger Studien bedürfen, um ungarische Zustände zu verstehen? Da kann ich mit einem guten Beispiel aufwarten. Seit langer Zeit hat den Magyaren kein Buch so gefallen, als die „Ungarische Landwirthschaft" von Dr. Heinrich Ditz, und einer ihrer Lobredner, Patterson, sagt in seinem Werk The Magyars: Ditz habe auf diese „ad- mirable treatise, the one most marked by a spirit of fairness and impartiality, und accuracy without the dryness of a sta- tistican" zwei Jahre Studiums in Ungarn selbst verwandt. Nun, Dr. Ditz ist mein Neffe, und hat sein Buch von Anfang bis zum Ende in meinem Hause geschrieben, nachdem er gerade ganze zwei Monate in Ungarn gewesen. In Wirklichkeit liegt Ungarn noch immer wie ein Neuland in der Kulturgeschichte, gleich einer offenen Tafel vor uns, auf welcher man leicht überblickt, was sich da bewegt und abschattirt. Und die meisten Magyaren selbst sind so stolz und offen und erz- gegossen in ihren Ideen und Ansichten, dass Jeder, der sie nur ein bischen kennt, gleichsam ein schönes Klavier vor sich hat von wenigen, aber elastischen Tasten: schlägt man eine Taste an, jedesmal erfolgt der erwartete Ton. In der ungarischen Abtheilung gab es auf der Wiener Weltausstellung nur magyarische Aushängeschilder: sah man nun bei den besten Erzeugnissen näher zu, so fanden sich deutsche Namen wie Herz Posner Hölzl Schmidt Grüneberg Goldberger Ellinger Rupprecht Koller Heller Dörner Fischer VII Oberbauer Egger Goldschmid Michl Kramer Herold Bausek Klein Bleyer. Man glaubte irgendwo in Deutsch-Oesterreich zu sein, und sah nichts hervorstechend Magyarisches mehr, es seien denn Flaggen, ausgestopfte Honv^ds, und ein bischen uralte Hausindustrie der Steppenregion. Was aber soll wohl ein Deutscher denken, wenn er in der gelesensten Zeitung Ungarns, in einer Julinummer des Pester Lloyd dieses Jahres, Stellen wie folgende findet: „Das ungarische (magyarische) Volk hat den Staatsgedanken, von welchem dem deutschen Kulturvolke noch immer nicht träu- men will, bereits vor tausend Jahren erzeugt, und denselben bis auf die Gegenwart herab energisch, entschieden und klar vor Augen gehalten Dieser Staatsgedanke macht uns (Magyaren) zu einer Nation, dieser hat uns politische Keife, politisches Leben, politische Kraft verliehen und uns zu Herren dieses Landes gemacht. . . . Wenn die Ungarn (Magyaren) gegenwärtig gegen das Deutschthum etwas energischer auf- treten, als dies jemals früher der Fall war, so liegt der Grund hierzu einerseits in dem auch seitens der Deutschen in „Reich" unvernünftiger Weise genährten Nationalitätenschwindel: an- dererseits aber ist es eine Reaktion gegen die bodenlose Auf- geblasenheit, Selbstsucht, und Hoffahrt, welche sich mancher Deutschen seit dem letzten Kriege bemächtigt hat." Liest und hört man dergleichen Wunderlichkeiten in Ungarn tagtäglich, so fühlt man sich unwillkürlich versucht, nachzuforschen, was für Geisteskinder diese Magyaren eigentlich sind, und das führt dann von selbst in Natur und Geschichte der verschie- denen Völkerschaften Ungarns hinein. Ohnehin sind wir Deutschen jetzt — wo Franzosen und Jesuiten in aller Welt gegen uns hetzen — genöthigt, all die Völker rings am Rande unseres Gebiets näher zu studiren, und ihre Instinkte und Machtstellung uns klar zu legen. Ungarn aber, dessen innere Zustände in Deutschland noch sehr wenig bekannt sind, liegt vor unsern Thoren, ist unser uraltes Kultur- und Handelsgebiet, und sein Hauptvolk jetzt von VIII eigenthümlicher Bedeutung für Oesterreichs Politik. Ins- besondere aber handelt es sich darum, ob dort nahezu zwei Millionen unseres eigenen Volksstammes, die auf nicht un- wichtigen Aussenposten stehen, in ihrer deutschen Sprache und Bildung von Magyaren sollen unter die Füsse getreten werden? Nur gegen solche ungerechte und gewaltsame Magyarisi- rung, die verderblich an Ungarns Kräften zehrt und schwer seine Zukunft schädigt, kämpfe ich. Im Uebrigen wird jeder redliche Magyar sagen müssen, dass Niemand das Edle und Tüchtige in seinem Volke freudiger anerkennt, und kein Fremder wärmer für Ungarns Heil und Aufschwung sich interessiren kann, als der Verfasser dieses Buches. München, im September 1873. Franz y. Lölier. INHALT. Seite Kap. I. Eintritt in Ungarn 1 Weltstellung der Deutschen. Völkergemisch ' an der Donau. Ma- gyarische Sprecher und Wienerinnen. Donau und Ehein. Fluss- landschaften. Historische Erinnerungen. Pest's Aufschwung und magyarische Hoffnungen. Pester Herrlichkeiten. Deutsch und magyarisch. Maskirte Deutsche. Judenmacht. Prunksucht. Aller- lei Volk und Unsitte. Jugend und Wagen, Die letzten fünfzig Jahre. Bewundernswerthe Leistungen. Politik der Furcht. Ver- tuschen. Specktoilette. Nation und Nationalitäten. Aus dem Ab- geordnetenhaus. Amerikanische Luft. Margaretheninsel und Blocksberg. Rück- und Ausblick. Kap. II. Landes- und Volksnatur 18 Durch die grosse Ebene. Magyarische Einwanderung. Geogra- phische Gegensätze. Vielgestaltiges Landgebiet. Naturbestimmung und Geschichte. Eömerzeit. Völkerwanderung. Ungarn's Welt- stellung. Turanische Völker. Herkunft der Magyaren. Gross- slavische Pläne. Arpäd's Züge. Allerlei Ideen. Historisches Ver- hängniss. Verdienst der Magyaren. Ihre alte Kriegsweise. Kämpfe' mit den Deutschen. Magyarische Anschauung. Grosse Zeit der Magyaren. Kap. III. Ungarns Mittelalter 32 Einführung des Christenthums. Gefangenenmenge. Deutsche Ritter. Blutmischung. Sechs Völkerschaften. Ungarische Kriege und Könige. Eindringen der Kultur. Sprachrückweise. Nach- bildung deutschen Staats- und Rechtswesens. Politisches Talent. Blutiges Parteitreiben. Geringer Einfluss auf Europa. Kaiserliche oder päpstliche Oberherren. Mongolennoth. Ungarn unter Kö- nigen von aussen her. Vier Perioden derselben Eintheilung der ungarischen Geschichte. Hunyady und Mathias. Ungarns traiarigste Zeiten. Rolle Siebenbürgens. Nationale Aufstände. Adelsver- schwörungen. Tragische Verwicklung. Seite Kap. rv. Das neue Ungarn 50 Anfänge besserer Verwaltung. Beharren der Volksnatur. Gunst unc^ Ungunst der Magyarenheimath. Frage an die Neuzeit. Unga- rische Adelsrechte. Maria Theresia. Einschlummern des Ma- gyarenthums. Kaiser Joseph IL Durchbruch modernen Staats- lebens. Liberale und nationale Bewegung. Die französischen Revolutionskriege. Selbsterkenntniss, Geburtsjahr des neuen Ungarn. Refonnen Oesterreichische Staatskunst. Die Adels- genossenschaft. Vorbild für das liberale Europa. Drei Richtungen. Kampfmittel. Umwälzung, Niedergang, Auferstehung. Nationale Gegensätze. Kap. V. Auf der grossen Ebene 62 Musterkarte von Völkern. Debreczin. Pest und die Magyaren- städte. Stadtgebiete. Ungarn noch Neuland. Städtisches Dorf- leben. Entschuldigungen. Kossuth und die Unabhängigkeitserklä- rung. Hauptfrage. Handels- und Geschäftssprache. Das Zeltlager der Steppe. Dorfungeheuer Abneigung gegen Aussiedeln. Vor- wände und Ursache. Zeugniss der Geschichte. Die Nationalitäten unter den Heiligen. Landwirthschaftliche Fortschritte. Amerika- nische und magyarische Städte. Nyiregyhäza. Magyarendorf am Morgen. Kleinruthenien. Verschiedene Volkswirthschaft. Frauen- tracht. Fragliche Wälder. Betrachtung eines Postschaffners. Beregszäsz. Anblick der Karpathen. Munkäcs. Kap. VL Pustenvolk 79 Falsche Vorstellungen. Die Jahreszeiten im Pustenland. Ueber- •gang zum Ackerbau. Fruchtfülle und Armuth. Künstliche Be- wässerung. Eindruck des Unermesslichen. Einfönuigkeit. Natur- reiz. Einwirkung auf das Volk. Verkennung des magyarischen Bauers. Leere des Magyarendorfs. Armselig Handwerk. Raub- bau. Das Bauerngut Sache. Quadratmeilengüter und Zwergbauern. Pustencharakter und nationale Gewöhnung. Gleichmuth. Ver- schiedenes Selbstgefühl. Grossmannssucht. Gutherzigkeit. Häus- licher Sinn. Kenntnisse. Verschiedene Thierbehandlung. Haus- thiere der Ebene. Gelage. Phantastisches. Thatkraft und Er- lahmen. Religiöser Gegensatz der Mongolen und Arier. Spärliche Nachkommenschaft. Niedriger Stand der Frauenachtung. Hirten, Fischer und Husaren. Kap. VII. Im karpathisehen "Waldgebirge 97 Ausdehnung und Anbau. Bergwildniss. Zum hohen Stoy. Wohn- sitze der Ruthenen. Kosaken und Verchovianer. Häuser und Kirche. Deutsches Dorf. Szolyvaer Thal. Jagden und Ludern. Ablöhnung der Arbeiter. Ruthenennatur. Nächtlicher Ritt in's Gebirge. Aufsteigen. Eisenbahn nach Galizien. Hirsche und Bären. Alpenweiden und Hirtenvolk. Aussichten von den Gipfeln. XI Seite Waldherrlichkeit. Gestaltung des Gebirges. Einförmigkeit und Stille. Ruthenische Dienerschaft. Eidechsenaugen. Verlassene Ansiedlungen. Ruthenische Dörfer. Kleinwirthschaft und Elend. Verhältniss zu den Grossrussen. Russische Herkunft. Abneigung zwischen Gross- und Kleinrussen. Slavische Staatswesen. Russ- land und Ungarn. Kap. VIII. Allerlei Völker 117 Ungarische Wochenmärkte. Farbiges Gewühl. Misstrauen. Katür- lichkeiten. Festung Munkäcs, Aus der Rakoczy-Zeit. Erstes Magyarenlager in Ungarn. Aussicht vom Festungsberg. General Spork. Von ungarischen, auch von deutschen Frauen. Weinberge. Stadt Munkäcs. Eine ungarische Herrschaft. Mustergüter. Ru- thenen und Magyaren bei der Arbeit. Alte Hofverfassung. Ein Beamtenkreis. Im Wisnitz-Thal. Zipser. Gründung deutscher Dörfer. Ihre Einrichtungen. Zusammenhalten. Magyarische Prozesssucht. Kap. IX. Fortsetzung 132 Judenmenge. Gründe ihrer Vermehrung. Geldfieber. Aus der ungarischen Judengeschichte. Magyarisirung und Widerstand. Neu- und Altgläubige. Ruthenenwirthschaft. Frühes Elend. Die griechische Kirche in Ungarn. Aberglauben. Ruthenischer Völker- dünger. Gegensatz der Magyaren. Ein ungarisches National- geräth. Bildungsfähigkeit der Ruthenen. Wie ihre Zustände zu bessern. Zigeuner. Naturleben. Zigeuner -Magyarisch. Körper- bildung. Magyarische Advokaten und Beamte. Zuwachs. Kinder- sterblichkeit. Bestimmung des gemeinen Volkes. Wahlen. Bürger und Juden. Ein Grund der Ausgleichbewegung. Kap. X. Durch Oberungarn 146 Gebirg und Seeboden. Leben an den Flüssen. Ziehbrunnen. Unghvar. Sammlungen für Verwundete des grossen Kriegs. Ru- thenische Wohngrenze und Herkunft. Slovakisirte Rutheuen. Völkergeschiebe. Blick auf Siebenbürgen. Slovakisches Dorf. Herrliche Landschaften. Ihre Ethnographie. Mittelalterliche Lan- deseintheilung. Altungarisches Leben. Kaschau. Dom. Erzie- hungsanstalten. Aus Kaschaus Geschichte. Wichtigkeit der Stadt. Honvedarmee. Uebungslager. Zigonen. Landesmusik. Nationale Tanzweisen. Zauber der Zigeunermusik. Kap. XL Fortsetzung 160 Magyarische Trachten, Kleiderverschwendung. Sprachmaskirung. Asiatische Volksnatur. Von einem ähnlichen Volke. Klagenoth und Zuversicht. Die Hexen von Eperies, Bevölkerung und Lage der Stadt. Aus der Geschichte von Eperies. Triebfedern der österreichischen Politik. Magyarische Ansichten. Ungarische XII Seite Eisenbahnen. Ihre Mängel, Nothwendigkeit und Zukunft. Ein ungarischer Jahrmarkt. Niedriger Stand von Industrie und Ge- werbe. Erklärungsgründe. Magyarisches Gewerb. Ideenarmuth. Charakterzüge der Völker. Juden, Deutsche, Slaven, Magyaren. Schlechte Aussichten. Kap. XII. Vom ächten" und falschen Adel 174 Selbstüberhebung. Vom Kulturtrageu nach Osten. Jungvolk. Adlige Gesinnung. Das eigentliche Volk, Kriegerische Tugend. Gross- adel. Frage nach uralter Abkunft. Herreuhäuser und ihre Sitte. Schöne Gastlichkeit. Liebenswürdige Frauen. Bücherscheu Bil- dungsgrad und Gründe. Schwerer Stand magyarischer Literatur. Ihr nationalpolitischer Charakter. Tanzen und Reden. Eintörmige Denk- und Kedeweise. Eheliches Leben. Gegensätze in Ungarn. Abarten des Adels. Bundschuhadel. Die grosse Landplage. Ar- beitsscheu. Politisches Treiben. Juristen und Gefolge. Kap. XIII. Fortsetzung 187 Unächt und Unheil. Bedeutung im Staatsleben. Geschichtliche Rückblicke. Greif- und Händelssucht. Raubheimstätte. Gegen- satz zu Deutschland und sächsisch Siebenbürgen. Verbrechens- vertheilung. Schuldantheil und Ursache. Parteileben. Prinzipien- reiterei. Geschlossenheit. Hass des Gegners. Selbstsüchtige Ziele. Straffolgen der Wahlkämpfe. Die Wahlen ethnographisch. Treiben vor und bei der Wahl. Unreife des Volkes. Kossuth. Heilvolle Gesetze. Nationale Auswüchse. Hindernisse des Fortschrittes. Herausarbeiten aus dem Mittelalter. Was helfen könnte. Zer- störung von Adelshorten. Eigenthümliches Gegengewicht. Ge- schäfte und Machtmittel der Juden. Judennatur. Ethnographische Stellung der Juden im Osten. Ihr Kulturverdienst. Kap. XIV. In der Zips 204 Herrliches Land. Opalgruben. Aussicht vom Purzelgrund. Erster Eindruck der hohen Tatra. Treffen am Braniczko. Kirchdrauf. Das Zipserhaus. Bischofsstadt. Vom Kirchenstreit. Europäische Geheimbünde Leutschau. Stillleben. Alte Familien. Deutsch- ungarische Charakterzüge. Liberales Verdienst. Magyarische Be- geisterung. Ein deutsches und magyarisches Liebeslied. Ungarns Schmuckkasten. Käsmark. Kirchen. Ein Juwel der Renaissance. Wälder und Brunnen. Zukunft. Nachbarliches Gefühl. Käs- marks Unglücksburg. Landesübliche Ehre. DeutschmitteJalter- liche Städtchen Kap. XV. Aus der Geschichte der Deutschen in Oberungarn. 220 Hohenstaufenzeit. Ansiedlungen in der Zips. Städtebund, Ritter- bund, und andere Genossenschaften. Kraftvolles, Aufblühen. Ober- ungarn halb deutsch. Dorfschaften. Scheu vor der Theissebene. XIII Seite Ausschliessung der Magyaren. Städteverfassung. Rechtsleben. Beginn der Leidenszeit. Zersetzung und Verkümmerung. Glau- benszwiespalt. Eindringen der Nichtdeutschen. Slovakische Ent- artung. Ethnographische Uebergangsweisen. Einwirkung der Landesnatur. Sprachnoth. Polnische Wirthschaft besser als ma- gyarische. Städteraub. Zwei Räthsel. Kap. XVI. In der Slovakei 235 Uebergang. Wohnungen. Männer und Weiber. Hauseinrichtung. Widrigkeiten. Erwerbsarbeiten. Dorfvölker. Literaturverbrauch in Ungarn. Vordringen der Slovaken. Ihr Gebiet. Historische Zeit. Keine Staatsbildung mehr. Gemeinde- und Familienleben. Charakterzüge. Kollär und der Panslavismus. Magyarenhass der Slaven. Lutherische Prediger und russische Hülfe. Klerus und Magyarenherrschaft. Verminderung der Deutschen. Cholera- aufstand, Kap. XVII. Sechs Jahre des Ausgleichs 250 Völkerschaften in Oesterreich und Ungarn. Bedeutung der Deut- schen. Der österreichische Staatsgedanke. Scheitern von Bach's System. Der Ausgleich. Einwanderungen Grosse politisch- nationale Leistungen. Machtmittel. Andere Erfolge. Abstich gegen die österreichische Verwaltung. Staatshaushalt. Fortschritte im Volkswohlstand. Steuerrückstände. Defizit und Schuldenstand. Staatsvermögen. Steuerreform. Fruchttragende Ausgaben. Fa- milienbahnen. Verwaltungsunfähigkeit. Verzehnfachen des Be- amtenheers. Fragliche Leistungen. Verfallen von Landstrassen. Das Elend im Banat. Verfall im Rechtswesen. Gesetzbücherelend. Graf Raday. Eine einzige Ortschaft. Kap. XVIII. Fortsetzung 267 Erste Aufgabe der freien ungarischen Regierung, Vertreibung der deutschen Lehrer und Beamten. Allgemeiner Verfall der Bildungs- anstalten. Hoffnungslosigkeit. Folgen für das Land. Geistige Isolirung und Junkerton. Verwüstung der sittlichen Staatskräfte. Regierungspartei und Opposition. Schädigung der konstitutionellen Freiheit. Unglück und Schicksal. Magyarische Literatur. Innere Machtlosigkeit des Staats, Grundlagen zur Heilung, Beispiele. Neue Regierungspartei. Gründliche Sittenänderung. Freie Ent- wickelung der Sprachen und Nationalliteraturen. Herbeiziehen fremder Intelligenz und Arbeitskräfte, Das grosse Hinderniss, Kap* XIX. Der Magyaren Verhängniss 282 Bedeutung der Nationalitätenfrage. Zustände im Mittelalter. Bloss Adelsgeschichte. Das Latein. Ungarisch-christliches Bewusstsein. Moderne Dämmerung. Aufstände gegen die Magyaren, Schritt- weises Ausbreiten des Magyarischen. Idee des Nationalstaats. XIV Seite Zwanzigjährige Sprachfreiheit. Zwei "Wege. Wahl des Unter« drückungssystems. Centralisirung. Adel und Reichstag. Gesetze und Ausnahmsgesetze. Das magyarische Hauptziel. Kulturver- wüstung. Geringe moralische Schuld. Völkererbitterung. Krank- heit und Gefahren. Kleine Völkerschaften in der Gegenwart. Stellung der Slovaken, Kroaten, Serben, Walachen. Völkerdrama. Kap. XX. Gesetze der Völkermischung Ein Völkerversuchsland. Hochherzigkeit und Unterdrückung. Dunkle Statistik. Nationalitätenzahlen. Die Magyarisirungsweise. • Das Nationalitätengesetz. Gesetzeslügen und Fallstricke. Noth- wendige Wirkung. Natürliche Völkergesetze. Hineinragen der fünf Nationalitäten von aussen. Einkeilung der magyarischen. Ehre und SchAvierigkeit. Vergleich mit Spanien. Verbreitungs- gebiete der Völkerschaften. Verbreitungsarten. Unterschied zwi- schen Deutschen und Magyaren. Völker der griechischen Kirche. Gesetze des Aufgehens in einander. West und Ost. Ruthenen Deutsche und Magyaren. Doppelnatur der Magyaren. Schluss- folgerung. Slovaken AValachen und Serben. Eigenthümlichkeit Ungarns. Wechselbeziehungen des deutschen Centralvolks. Stille Fortdauer der Völkerwanderung. Kap. XXI. Wird Ungarn deutsch oder magyarisch? . . . 316 Ein Fürsprecher der Magyaren. Vier Epochen deutscher Einwan- derung. Endergebniss. Fortschritte der Slovaken. Vermehrung der Südslaven. Ausdehnung der Walachen und Juden. Abnahme der Magyaren und Ruthenen. Dreifache Möglichkeit. Der Magyaren Massenwucht. Prozentsätze der Bevölkerung. Geographische Stellung der Magyaren. Ihr moralisches Uebergewicht. Herr- schaftsvortheile. Gunst von anderen Seiten. Hoffnungen und Be- schränkung. Widerstand der Zeit. Demokratische Gruudströmung. Adelszerstörung. Vortheile der Kulturvölker. Isolirung des Ma- gyarischen. Mittel zu seiner Ausdehnung. Ein Professorentreib- haus. Hauptfrage. Drei Zeugen. Natürliches und Künstliches. Verbreitung des Deutschen. Kultur- und Handelssprache. Andere Vortheile. Deutsche Zuwanderung. Zunehmendes Erstarken. Kap. XXII. Karpathenjagd 333 Windkämpfe und Wetterwechsel. Eindruck des Gebirgs. Wild- stand. Seine Hemmnisse. Kirpelschuhe. Brackenjagd. Bürea Schönheit der Zipser Landschaft. Die drei Bergspitzen. Ein Berliner Stückchen. Das Kohlbachthal. Vermehrung der Zirbel- kiefer. Kein Pürschen. Gemsjagden. Vergleich mit dem bayeri- schen Hochgebirg. Die Gumpenjagd. Luftäther. Jagdlust. Ver- schiedene Fischerei. XV Seite Kap. XXIII. Bergnatur der Tatra 345 Wildbad Schmeks. Vorzüge und Geschichte. Aufsteigen zum Kamm. Niedersächsisch. Karpathenthäler. Rückengebirge. Erste und zweite Staffel. Menschenfeindliches Gebirg. Nationalpoliti- sche Gespräche. Schneegebirg ohne Schnee. Das obere Kohl- bachthal. Letzte Staffel. Meeraugen und Naturzauber. Rückgang. Zur Schlagendorfer Spitze. Umblicke und Aussichten. Zerrissen- heit des Gebirgs. Verwitterung. Kap. XXIV. Wir und die Andern 359 Europäische Unterhaltung. Wendepunkt unserer Epoche. Deutsch- land jetzt und im Mittelalter. Völkerstimmung gegen uns. Ma- gyaren unter sich. „Nur in Ungarn ist Leben." Deutschenhass. Begründung bei den Magyaren. Ursachen bei andern Völkern. Allgemeine Verschwörung. Unkenntniss deutscher Zustände. Be- nehmen der Engländer. Vom Gelehrten- und Handwerkervolk. Barbarossafurcht. Unsere Pflichten. Veränderte Stellung der Deutschen im Ausland, Die Magyaren während des letzten Kriegs. Eine Gefahr für Deutschland. Französische Politik. Ungarns Mittelstellung. Verwandtschaft mit Deutschland. Histo- rische Warnungen. Magyarenwünsche. Deutsche Politik. Russen- furcht und Friedenssehnsucht. Kap. XXV. Deutsch-ungarische Gegenwart. 380 Deutsche Verschwendung. Schwerste Stunde der Deutsch-Ungarn. Eine angebliche Nationalschande Ungarns. Unterjochung der Pester Deutschen. Einschüchterung. Oesterreichische Preisgebung. Ungunst der katholischen Kirche. Sinken deutscher Bildung. Magyarische Hörigkeit. Weit hinten im Kleinvölkerdickicht. Fall der letzten Stützpunkte. Kein Zusammenhalten. Kleidermode. Magyaronen. Abfall von sich selbst. Der Deutsche in der Fremde. Heilmittel. AVir in Deutschland. Verkehrserleichterung. Politische Freiheit. Pflichten. Die besten Ungarn. Wiederher- stellung alten Rechts. Grosser Beruf. Pflege magyarischer Sprache und Geschichte. Offenes Auftreten. Deutsches Verdienst. Kein anderer Kulturweg. Familie Kirche und Schule. Vereins- leben. Lese- Auswanderer- und Schutz-Vereine. Mangel an Führern. Nächstes Hauptziel. Wetteifer zwischen deutschen und magyarischen Ungarn. • Kap. XXVI. Die Siebenbürger Sachsen 40O Der edelste Zweig der Deutsch -Ungarn. Lage und Gestaltung Siebenbürgens. Ungarische Eroberung. Deutsche Einwanderung. Die deutschen Landschaften, Die grosse Handfeste. Edlinge. Freier Königsboden. Blüthezeit. Die freie Universität. Otto von Bayern. Königstreue. Burgkirchen und Bauernburgen. Leidens- XVI Seite Periode. Veränderte nationale Stellung. Hermannstadts Verder- ben. Zeit der Räkoczys. Errettung. Das vorige Jahrhundert. Zusammenhang mit Deutschland. Fall der Schutzwehren. Aus- lieferung an die Magyaren. Unkenntniss und Widerwillen in Pest. Jungsachsen. Unfreiheit der Presse. Absetzung des National- grafen. Magyarisirung des Gerichts und der Gemeindeversamm- lung. Angriff auf die Schulen. Begünstigung der Walachen. Misshandlung von Hermannstadt. Verfall der Strassen. Fälschung der Landesvertretung. Ungarische Justiz. Dänen in Siebenbürgen. Kap. XXVII. Oesterreich und Ungarn 419 Ungarns Zukunft. Gewohnheit der Magyaren. Gesetzgebung. Steigende Einsicht. Weltgeschichtliche Bewegung. Krisis. Heil- kräfte. Einwirkung von Deutschland her. Einwanderung. Natür- licher Ausgleich. Verbindung zwischen Deutschen und Magyaren. Oesterreichs Geschicke. Umschwung. Seine Stellung und sein Beruf. Verbindung mit Deutschland. Ihre drei Forderungen. Oesterreichisches Bewusstsein. Gesammtregierung. Oesterreich auf sich selbst gestellt. Höhere Rücksichten. Eine Nothwendig- keit für Deutschland. Gefahr für die Magyaren. Eines oder das Andere. Kap. XXVIII. Ueber den Krivan nach Galizien 433 Von Schmeks nach Belansko. Eigenthümlichkeiten der Tatra. Der Viszocky. Abend und Nacht. Slovakenwirthshaus. Slovaken- burschen. Herrliche Bergfahrt. Gestalt des Krivan. Seltsame Wasserscheide. Laubwaldung und Jagd. Wolkenbrüche. Gipfel- steile. Aus- und Ansichten. Rückweg. Liptauer Alpen. Nächt- liche Waldfahrt. Zakamenisto. Slovakenverstand. Urwaldsthal. Tychipass. Koszielisker Thal. Gorallen. Judenwirthshaus. Neue Kriegsbilder. Zakopana. Polnische Welt. Karpathenanblick. Neumark. Polnische Frauen. Sprachnoth. Judenküchen. Kar- pathenpracht. I. Eintritt in Ungarn. Weltstellung der Deutschen. VölkergeAvirr an der Donau. Magyarische Sprecher und Wienerinnen. Donau und Rhein. Gährung in den Donau- landen. Flusslandschaften. Historische Erinnerungen. Pest's Aufschwung und magyarische Hoffnungen. Pester Herrlichkeiten. Deutsch und magya- risch. ]Maskirte Deutsche. Judenmacht. Prunksucht. Allerlei Volk. Jugend und Wagen. Die letzten fünfzig Jahre. Grosse Leistungen. Politik der Furcht. Vertuschen. Specktoilette. Kation und Nationalitäten. Aus dem Abgeordnetenhaus. Amerikanische Luft. Margaretheuinsel und Blocksberg. Rück- und Ausblick. Vielleicht gibt es in allen Ecken und Enden Europa's kein Wort^ das jetzt im Stillen liäuliger sich zwischen die Zähne drängt; als ^^ verdammte Deutsche 1^*^ Prokljatin yenszy — flucht der Russe, förbannade tüsken — seufzt der Schwede, damned Germans — denkt der Engländer, und so geht's weiter durch alle slavischen" und romanischen Mundarten hin. Es klingt drohend genug, und enthüllt in dunkler Ferne Auf- gaben^ unter deren Last uns die Schultern brechen könnten. Die Deutschen sind einmal mitten zwischen die Völker gesetzt und haben den schweren Beruf empfangen, die drei grossen europäischen Rassen aus einander, und zugleich von ihnen allen den schweren Druck auszuhaken. Merkwürdig genug haben auch von den drei kleinen asiatischen Rassen, welche sich in Europa befinden, den Juden, Türken und ]Magyaren, die Einen Deutschland halb zu ihrem Mutterlande erkoren, die Löher , Ungarn. \ Zweiten uns harte Kämpfe genug gekostet^ und die Dritten, obwohl ihnen viel Gutes aus den oberen Donaulanden zuge- flossen, sind auch gar nicht recht zufrieden, dass Frankreich, wie geschehen, niedergeworfen wurde. Immerhin, was sollen wir machen? Viel Feind viel Ehr! Der Neid und Aerger muss herunter bei all den Völkern ringsumher. Wohl oder übel müssen sie sich erst innerlich abtinden mit dem gewaltigen Aufschwung des grossen Volkes der Mitte, dessen nationale Bescheidenheit ein Allerweltsdogma war, und dessen Ellenbogen alle Welt plötzlich in der Seite fühlt. Der ungeheure Thatsachenberg ist unsern Kach- barn — und kein Volk hat so viele Nachbarn als das deutsche — dicht vor der Stirn aufgestiegen, und sie messen und schielen daran umher nach oben und nach unten, und stossen immer wieder die Frage hervor : „Soll und muss man denn die Macht der Deutschen so hoch anerkennen, wie ihre Wissenschaft'?^' Man ahnt so etwas, als wenn die ganze euro- päische Politik sich leise drehe, wie wenn man sich auf grossem Schiff im Meer befindet, das langsam eine Wendung macht, um einen andern Kurs zu nehmen. Wir Deutsche aber haberi nichts dringlicher zu thun, als durch Wort und That aller Orten die Ueberzeugung zu erwecken und zu befestigen, dass wir jedem Volke gern sein Recht und seine Ehre lassen, dass wir Frieden und Gerechtigkeit allseitig stärken wollen, dass wir an nichts weniger denken, als andern Völkern unsern Willen aufzudrängen. So ungefähr klangen die Grundideen in dreisprachiger Unterhaltung auf dem Dampfschiff', auf welchem ich in.i Som- mer 1871 von Wien nach Pest fuhr. Ein Bischen Zukunfts- politik stellt sich ganz von selbst ein, wenn das bunte Völker- gemisch Einem vor Augen tritt, das schon anhebt, so1)ald man Pressbui g's Tliürme liinter sich hat, und welches doch so un- verträglich scheint mit den Kulturstaaten der Gegenwart, Auch in unserm Schiffe machte es sich geltend. Auf dem Vordcrplatz gab es ungarisches Landvolk, das in sein(,'m Schmutz und Schafpelz sich hinstreckte wie eine Art Halb- thiere — Serben und Kroaten, die etwas weniger von schwärz- lichem Fette glänzten — österreichische Soldaten^ gleichsam aus solchem MenschenstofF erst herausgedrechselt — Viehhänd- ler von allen Zungen, deutsche Handwerksburschen, die mit ihrem Bischen Muth und Verstand die ganze Welt durch- wandern. Die vornehmere Gesellschaft schien in ihren Völker- bruchstücken zusammengehalten durch österreichische Offiziere lind deutsche Kaufleute und Industrielle^ die gleichsam den Yerbindungskitt bildeten. Ein paar gemächliche Türken nah- men niemals ihren rothen Fez herunter, damit doch Jedermann es ihnen gleich ansehe, dass ihr Kopf noch zum Orient gehöre. Englische Techniker, die nach der Levante wollten^ wanderten unruhig auf und ab^ zu Zeiten im Gespräch mit ein paar äusserst modisch gekleideten Herren, deren Gesichter ganz das Geschmeidige und Verschmitzte zeigten, das die Levante ihren europäischen Söhnen aufdrückt. Still und in sich gekehrt sassen zwei Siebenbürger Beamte, welche sich mit tiefer Erbit- terung darüber aussprachen ,/lass ihr Kaiser sie, die freien Männer auf gutem alten Sachsenboden, magyarischem Volk überliefere.^^ Noch mit einem andern höhern Beamten kam ich in Unterhaltung. Er war von der Militärgrenze und hatte in dem Völkergewirr dort unten an der Donau so viel Wildes und Krauses erlebt, dass er nur noch an das Eine dachte : wie er sich selbst mit Gehalt und heiler Haut durchbringe. Den stärksten Haufen auf unserem Dampfschiff aber bildeten magyarische Herren und Damen. Sie sassen vom Morgen bis zum Abend um einen Tisch beisammen, und hörten nicht auf, ihr reines Magyarisch so tonvoll vernehmen zu lassen, als dürfe uns xlndern kein Laut davon verloren gehen. Der ächte Magyar spricht stets mit einer gewissen Würde und Wichtig- keit, als stünde er noch als Patriarch unter seinem Zeltdach in der Steppe, umgeben' von Kindern und Knechten, und man sieht es ihm auf den ersten Blick an, wie gern er sich reden hört. Der breit behagliche Vortrag, gewürzt mit Schulphrasen 1* aus allen Klassikern, macht ihm unendliches Vergnügen. Aber man höit auch sofort heraus, wie treu und ehrlich und tapfer er es meint mit allem, was er fühlt und denkt. Ein paar hübsche Wienerinnen machten ihre kleinen Bos- heiten über die Ungarn. ,,Wann's nit a gut Deutsch ver- stünden, Avär' die Welt gar bald ihna aus.^^ Reizende queck- silberne Figürchen waren's, voll Lust und Leben. Es ist doch nett, dass deutsche Art, die aus Allerweltsstoff gemischt wurde, auch so viel pariser schöne Lebhaftigkeit entwickeln kann, ohne einen Augenblick die heitere Fülle des Gemüthlichen und Anmuthenden einzubüssen. Wem blühte nicht schon in seinem Leben ein süsses Wiener Gedenken! Unbegreiflich ist nur, warum die schönen Wienerinnen sich die schändliche harte Mundart nicht abgewöhnen. Sie können Einen so lieblich anblitzen : fangen sie aber zu reden an, so lautet es, als rollte hinter den lachenden Zähnen ein halbes Dutzend kleiner Steinchen. Hoffentlich, da das Deutsche wieder so hellen Klang hat, konnnt von der neuen politischen Herzlichkeit zwischen dem Deutschen und dem Oester- Reich auch den Wiener Töchterschulen etwas zu gute, in Veredlung der Sprache meine ich. Aus erregtem Gespräch blickte man innner wieder gern auf die strömende Donau und ihren majestätischen Glanz. Sie ist doch einer der schönsten und eigenthümlichsten Flüsse, unsere Donau, ein prächtiger Gegensatz zum Rhein. Man meint, den Rhein lerne man erst verstehen, wenn man die blaue Donau hinab fährt. Dort, zwischen den schönen Reben- hügeln, hat sich unsere Geschichte versteinert und welch eine reiche Städte- und Reisegeschichte war es! Hier, über den Ufern der Donau, liegt etAvas wie Zukunftswitterung. Wohl glänzt es Avieder morgenschön längs des langen Laufs unseres Weststromes. Denn er gehört, Gott und unsern Tapfern sei innig dafür gedankt, uns wieder ganz, und junge Liederlust und stolze Denkmäler der Kunst erheben sich allüberall im reich gesegneten Rheinthal. Um seine Mündungslande kümmert sich noch Keiner. Am Ende wissen die Meisten mehr 'von Neuseeland und Australien, als von den Inseln, die ihm den Namen gaben. Doch was gehen uns die Holländer an '? Sie müssen uns schon von selbst kommen. Wohl aber schweifen unsere Gedanken gern hinab unsern Südoststrom, der doch viel entschiedener europäischen als deutschen Charakter trägt. Dort, wo unsere ahe Wassser- strasse zum Orient zieht, liegt ausgebreitet eine Völkerwelt, die jetzt von seltsamer Unruhe und Bewegung ergriffen ist. Wie schon öfter in der Geschichte, gerieth sie in unsern Ta- gen wieder in Fluss und Gährung, und man weiss noch nicht recht^ was da Alles werden soll. Die Donau kennt nicht, wie der Rhein, ein Gewinde von kleinen Seen und Strömungen tief zwischen grauen Bergwänden und Felsspitzen, die malerisch durchbrochen und mit Wein- grün, Kirchthürmen und altem Burggemäuer gekrönt sind. Dort am Rhein ist Alles anmuthvoll, Alles auf und ab schöne, leicht fassliche Romantik. Auch die Donau schiesst wohl durch düstere Bergschluchten, wo Geschichte und Sage ZAvischen Felsschroffen und Ruinen hängen. Hin und wieder entzückt die erhabenste Wald- und Flusslandschaft, hehr und herrlich, gleich einem See im Hochgebirg. Im Ganzen aber erinnerte mich die Donau immer an den breit strömenden Hudson mit seinen rauschenden Wäldern und grünen Prairien. Vor sich hat man stets ein weithin glänzendes Wassergewoge zwischen lichten Wiesen oder Waldhügeln, hin und wieder schwingen sich blaue Bergzüge in schönsten Linien hoch übereinander, und darüber wölbt sich der unermessliche Himmelsbogen in strahlendem Aether. Wie still aber, wie unbelebt zieht der herrliche Strom da- hin ! Selten ein Floss, noch seltener ein Dampfboot, dann einige Reiher und Raben, ein Zug Stockenten — das war Alles, was wir den ganzen Tag auf den einsamen Gewässern zu sehen bekamen. Einmal kam auch ein Wallfahrerschiff^ in welchem jede Bank von Menschen gefüllt und das grosse Christusbild vorn übers Wasser gelegt war, als wäre es eine Art Bugspnet. Wie verloren in der Wildniss erschien von Zeit zu Zeit eine Stadt oder Burg, oder auch nur eine Vieh- heerde am Ufer. Wohl merkt man, dass die Landschaft besiedelt sei : die Bewohner aber brauchen und versenden noch gar wenig Güter, Einigen ungarischen Herren aber ging Herz und Seele auf, sobald wir in den Aveiten Umkreis ihres vielgeliebten Eigenreiclis eintraten. Glühendes Vaterlandsgefühl gab sich in ihren Blicken und Worten kund, und es liegt w^ahrlich etwas Begeisterndes in solch edler Leidenschaft. Sie wurden nicht müde, mich auf jeden historischen Punkt am Ufer auf- merksam zu machen. Wie Schade, dass das Dampfschiff bei Hainburg, Pressburg, Gran und Wissegrad nicht länger anhält. Da möchte man tagelang verweilen und mit den Augen schwelgen in diesen herrlichen, ja erhabenen Flusslaiidschaften, welche die Geschichte geweihet hat. Die Orts- und Burgnamen tönten nicht fremdartig und unbekannt ; es knüpften sich daran beinahe stets Erinnerungen aus unserer eigenen Geschichte, schon aus uralter Nibelungen- sage. War doch schon im fränkischen Reiche das alte Pan- nonien am rechten Donauufer deutscher Boden gewesen, und hatten sich unsere Landsleute im Mittelalter in Ungarn an- gesiedelt, gerade wie jetzt in Amerika. Auch in Ofen hatten sie ihre feste Stadtburg mit eigenem Recht und Gericht auf- gebaut. Als die Stadt für lange Zeit Sitz eines türkischen Paschas wurde, musste, was der Kaiser vom alten Ungarn noch gerettet hatte, sich mehr und mehr deutscher Herrschaft angliedern. Voll schwerer langer Mühen und Drangsale war der Kampf mit dem Halbmonde. Endlich, mit dem ersten grossen Sieg bei St. Gotthart, begann jene glorreiche Zeit der Türkenkriege, welche die Wandtapeten in unsern alten Schlös- sern und zahllose Adelssiegel mit blutigen Türkenköpfen besäete. Damals wurde Ungarn durch deutsches Blut und Geld, durch deutsche Kriegskunst erlöst, und es schien nun selbstverständlich. (lass deutsche Art und Natur die Donau hinunter ziehe und sich im menschenarmen Lande ansiedele. Noch vor fünfzig Jahren erschien Pest ebenso wie Ofen den Fremden als ein deutscher Platz. Die paar magyarischen Seifensieder, Töpfer und Tsischmenmacher, welche dort lebten, wollten nicht viel bedeuten. Die vorzüglichsten Tsischmen- macher zogen sogar Wien für ihre Geschäfte vor. Was sind denn die Tsischmenmacher für Leute? so fragt man vielleicht in Deutschland Es sind diejenigen zahlreichen Meister, welche das feinste und beliebteste Erzeugniss urwüchsiger Landes- industrie liefern, den ungarischen Stiefel, den man ohne Sporen sich nicht denken kann, wenn er auch nie aufs Pferd kommt. Wer bloss Schuhe macht, heisst auch auf Magyarisch bloss „Schuster^^ Als aber der ungarische Adel seinen Wohnsitz von der Kaiserstadt nach Pest verlegte, da folgten ihm die Tsischmenmacher, und nach ihnen kamen viele andere Kaui- und Geschäftsleute nach Pest, und bald sammelten sich hier die Politiker und Oberbeamten und die höhere Gesellschaft aus dem ganzen Ungarnlande, Breit und stolz anschwellend hat sich die ungarische Hauptstadt dahin gepflanzt, und ruft mit hoher Stimme der deutschen Sprache und Sitte ein Halt zu. Dies überaus rasche und grossartige Anwachsen Pest's gehört ~ allerdings zu den Zeichen unserer Zeit und ihres Völkeraufstrebens wie ihres Handelsverkehrs, die mit tausend- fach beflügelter Thätigkeit in's Grosse und Massenhafte schaflen. Noch viel grösser sind die Hoff'nungen, welche die Ma- gyaren an diesen Aufschwung ihrer Hauptstadt knüpfen Als wir Abends in das einzig schöne reich belebte Höhen- und Städterund von Ofen -Pest einfuhren, verdachte ich es wahrlich keinem Ungarn, wenn er in seiner patriotischen Phantasie aus- rief: „Nur Neapel und Konstantinopel könnten sich mit sol- cher Herrlichkeit messen*^ Nun erklärte auch Einer, der doch Europa und Amerika in langer Verbannungszeit durchstreift hatte: „Pest habe von allen Städten der Welt die grösste Zukunft, fort und fort werde es wachsen und immer riesen- 8 hafter sich ausdehnen." Ich bemerkte, mir scheine Wien zum grossen Mittelpunkte des Donauverkehrs bestimmt zu sein, und wies hin auf die wunderbare SchnelHgkeit, mit welcher sich seine Gross- und Kunstbauten überaus herrlich entwickeln. ,,Was will denn das Wien?" wurde entgegnet. ,,Wien steckt zwischen seinen Bergen. Aber Pest, o Pest hat rings die oftene freie unermessliche Ebene!" In der That, ins Unermessliche geht die patriotische Phan- tasie vieler Magyaren. Sie rechnen: Deutschösterreich kommt über kurz oder lang ans Deutsche Keich, bis dahin muss der ungarische Staat im Innern stark und magyarisch gefestigt sein, dann werde ihre Nation sich edelmüthig um ihr habs- burgisches Fürstenhaus schaaren, und dann bildeten sie den neuen ächten Kaiserstaat der Donau bis hinunter zum Schwarzen und Adriatischen Meer. Das AA'asser läuft ihnen im Munde zusammen bei dem Gedanken, dass sie, die Magyaren, dann die Führung eines grossen Reichs hätten und Gold und Ehrenämter in Hülle und Fülle. Die Zukunft mit ihren offenen Gefilden wird dabei auf das Schönste ausgestattet, und Oester- reich so hübsch zerlegt, wie eine leckere Orange. Nicht im Traume fällt ihnen ein, dass das Deutsche Reich, wenn ihm die österreichischen Lande zufielen, auch jenen alten Karolinger Reichsboden bis vor die Schwellen von Pest mit in den Kauf nehmen könnte. Die Stadt ist Aveit und ansehnlich, den Strom entlang auch glänzend, wenn auch so ein wenig, was man nennt, aufgedon- nert. Prachtvolle Gasthöfe sind, wie zum Empfange von Fürsten, eingerichtet, ^oll englischem Comfort, Ruhe, Blüthen- geruch und Höflichkei^. Vielleicht könnte noch mancher Gast- geber vom Rheine hier lernen, es seinen Gästen behaglich zu machen. Vom Aufschwünge Ungarns zieht zunächst die Haupt- stadt ihre Goldernte. Die grossartigsten Pläne, wie sie zum herrlichsten Königssitze der Welt auszubauen, schwirren in der Luft. Die schäumende Lust und Freude, welche der Un- uar an der neu aufblühenden Macht und Freiheit seines Water- landes bat, spiegelt sich in seiner Leidenschaft, die Hauptstadt zu schmücken wie eine junge stolze Braut. Das Erste, was in Pest jeder jemde näher betrachten will, ist die Donaubrücke. Wie der gewaltige Strom, den sie allein zu bändigen scheint, ist sie ein gewaltiges Werk. Wird, was da noch kommen soll, in diesem Stile aufgeführt, so kann die ganze Welt sich Glück wünschen. Mein zweiter Gang war auf die Esterhazy - Gallerie. Da sind ächte Perlen der Kunst, im so reinen und unvergänglichen Glänze, dass man sich jedesmal wie erquickt und beruhigt fühlt, tritt man aus dem Lärm und den grellen Lichtern da draussen in dieses Heiligthum ein. Im Museum lässt sich an den gehäuften Alterthümern studiren, Avie die Bronzezeit und römische und byzantinische und deutsche und asiatische Kultur und Sitte in Ungarn sich gemischt haben. Man wird auch noch durch viele andere prangende Säle geführt, die aber mehr wie hoffnungsvolle Gehäuse für den zukünftigen Glanz von Kunst und Wissenschaft ausschauen. Es überkommt Einen darin noch das Gefühl einer gewissen Leere, — ähnlich, als wenn man einen ganzen Pack ungarischer Schriften und Zeitungen durchgelesen hat, die alle voll Klang und Breite recht gemeinnützige Gedanken entfalten, — oder als wenn man sich in die einförmigen langweiligen Häuserreihen verliert, die sich hinter dem Pallastgürtel an der Donau endlos ausdehnen in die weite Ebene hinein Von den stolzen Haus- und Pallastbesitzern mit magyari- schen Namen sind augenscheinlich nicht Wenige' ehemals deutsche Kleinhändler, Kellner und Branntweinbrenner gewesen, deren reiche Söhne nicht selten besser noch, als das Magyarisch- reden, das ungarische Lotterlel)en verstehen. Tritt man irgendwo in eine Werkstätte, ein -Geschäft, ein Bankhaus, hört man überall deutsch sprechen. Gut bürgerlich deutsch, sogar deutsch -philisterhaft schien mir ein weit verbreiteter Grund- stock der Bevölkerung. Nicht wenig aber war ich betroffen, als ich erfuhr, dass so viele wahrhaft verdiente Männer unter 10 den Magyaren von Haus aus Deutsche seien. Tolcly habe Schedel, Vambery Bamberger, Hunfalvy Hundsdörfer geheissen, — der Maler Munkacsy sei der Sohn eines deutschen Beamten, der nach Munkacs gekommen, — ja selbst berühmte Kammer- redner seien nur maskirte Deutsche, Pfannschmidt nenne sich Csedenyi, Halbschuh Iränyi, Heller Helfy. Ich hatte geglaubt, man überliesse das unbedeutenden Leuten, aus einem Alters- berger einen Ohegyi, aus Weiss Felier, Weber Tackäcsy, Krenmüller Tormay, Pleidelberger Halmosy zu machen. In England oder Frankreich fällt es keinem ]\Ienschen ein, den Göschen oder Brand oder Hausmann oder Schneider zuzumuthen, sie sollten ihren guten ehrlichen Namen besseren Fortkommens willen umtaufen. Durch die ruhige deutsche Wallung, die sich von Westen her über Pest -Ofen verbreitet, geht eine scharfe reissende vStrömung — das ist das Magyarische, das sprudelnd und brausend sich überall hören lässt, wo Politiker oder ein paar junge Leute zusammenstehen. Gehört die Pester Jugend schon wirklich dem Magyarenthum ? Die Stadt verwendet jährlich achthunderttausend Gulden auf ihre Schulen, aber kein Lehrer soll die Schüler mehr deutsch unterrichten. Ausserdem spricht man Magyarisch ohne Zweifel in vielen Pallästen und Amts- zimmern. Wie aber möchte es wohl um die Arbeit der Staats- behörden aussehen, wenn in den Pester Kanzleien die deutsch- ungarischen Beamten, z. B. nur die Zipser, fehlten? Neu war mir auch die Macht der Juden in Pest. In Deutschland haben sie seit einem Menschenalter sich so rasch vermehrt, dass wohl schon mancher Unmoderne mit Grauen daran gedacht hat, es werde, Avenn das so fortgehe, dem zweiten oder dritten Männergeschlecht unsers neuen Reiches nichts mehr übrig bleiben, als entweder alles, was beschnitten, todt- zuschlagen oder alle hübschen Judenmädel gleich selbst zu heirathcn. Wie weit aber lässt die ungarische Judenvermeh- rung die deutsche hinter sich! Die gute Hälfte, sagt man, des Glanzes von Pest sei mit jüdischem Gelde erbauet. Höchst 11 sehenswerth ist die Synagoge: da ist der leibhafte Orient ins nette gemüthliche Deutsch übersetzt. Wie in allen Handels- städten^ die rasch zu Grösse und Reichthum kamen, herrscht in Pest ein roher Luxus, und der Rest von asiatischer Prunk- liebe, welcher den Magyaren noch anhängt und gegenwärtig in Pest die Rathstitel so gesucht macht, bringt es mit sich, dass man die Schätze auch sehr gerne zur Schau trägt. Die reichen Jüdinnen aber stechen Alles aus. Ohne ein paar Pfund Gold ihrem Oberkörper anzuhängen, tritt gewiss keine aus der Haus- thür. Die jüdischen Geldherren aber treten so magyarisch aufgeschmückt einher, wie ungarische Magnaten: es fehlen nur noch blitzende Waffen im Gürtel. Sitzt aber der vornehmste Pester Jude daheim im Schooss seiner lieben Familie, so ist der klirrende Magyar säuberlich bei Seite gelegt, und Alles plauscht gar herzlich deutsch mit einander. Neben Deutschen, Juden und Magyaren ist aber in Pest noch ein kleines Gemisch von so vielen Völkerschaften ansässig, von Slovaken und Walachen und Zigeunern, von Serben, Griechen und Armeniern, dass man sich unwillkürlich fragt, ob denn des Orients Pforten schon so nahe bei Wien sich öffnen? Hat man sich gegen gewisse säuberliche Gefühle ein- malgestählt und gefestet, so kann man die schönsten Volks- studien treiben, im Pester Stadtwäldchen, wie in den Ofener Biergärten und auf den Werften und Abladeplätzen ; vielleicht am meisten zeigen sich unverfälschte Naturen in den Kneipen rechts und links an der Donau. Mit der Orientsnähe hängt es auch wohl zusammen, dass sich in Pest eine solche Menge von Spielhöllen und noch schlimmeren Häusern zusammen- findet: das Magyarenvölklein hätte für sich allein solch einen Berg von Unsittlichkeit doch nicht zu Stande gebracht. Gleich in den ersten Stunden kam ich mir in Pest vor, wie in einem rasch emporwachsenden Grosshandlungshaus, das überall seine Firma aushängt, und dessen Mitglieder lustig darauf los leben und wagen. Aber es ist etwas Frisches, Jugendliches, Ungestümes in dem Volke hier, das auch den 12 Fremden anregt^ so dass er mit herzlichem Antheil den neuen Dingen zuschauet. Ein altes Volk ist wieder jung geworden, und gährt und brauset wie junger Wein. Denn Ungarn fühlt sich jetzt wie erleichtert und neu belebt. Bis in dieses Jahrhundert hinein war dies Adelsreich weit hinter andern Ländern zurückgeblieben. Da begann ein mühevolles, fast aussichtsloses Kämpfen und Ringen, welches zum Ziele hatte, statt des Adels, der allein das Volk bedeutete, ein wesenhaftes grosses und freies Volk der Ungarn zu schaffen, das auf der Höhe der Zeit stände. Dann kamen die beiden Jahre der Stürme, der blutigen Opfer, des ewigen Wechsels zwischen Gluth und Zuversicht und düsterer Ergebung ins Schicksal Eine heilige nationale Begeisterung lohete 1848 und 49 durch das ganze Volk der Magyaren und Alle, die mit ihm gingen, — wilde schreckliche verzweiflungsvolle Energie zuckte in den Armen des ärmsten Bauers, — und niemals wird in der Ge- schichte verlöschen, was diese Energie leistete in Mitten der grössten Hindernisse und Gefahren. Darauf folgte die schwere lange Zeit von 1849 bis 1867, wo die edelsten Männer in Ver- bannung, im Kerker, im Grabe, czechische Beamte Herren im Lande, und das Magyarenthum daniederlag, wie ein verhageltes Kornfeld. Aber auch da bewährte sich dieselbe zähe Energie im stillen hartnäckigen Widerstand gegen Alles, was die öster- reichische Regierung tliat und begann. Mit seltener Glaubens- stärke betrachtete man die neue Verfassung als nicht vorhanden, und liess in Gespräch und Büchern nur die alte erscheinen. Als aber die Gegenwart mit ihrem Rechte immer unwider- stehlicher drückte, als das Deutschwerden des Landes reissende Fortschritte machte, und man schon die Zeit berechnen konnte, wo der Widerstand erlahmen musste, — da kam wie ein Retter in der Noth der preussische Krieg und Sieg von 1866, und schon im nächsten Jahre feierte das Magyarenthum seine Auf- erstehung, Ungarns Ausgleich mit Oesterreich. Jetzt endlich ist der Ungar Herr im eigenen Lande. Türkennoth gicbt es nicht mehr, die Russenwolke steht noch 13 in weiter Ferne, und der deutsche Befehl und Kulturdrang ist endlich hinter die Leitha zurückgewichen. Jetzt athmet der Magyar auf, tief auf. Jauchzend stürzt er sich in ein Meer von Hoffnungen, und hält das Grösste nicht zu gross für seinen Muth. Darf er nicht auf die Zeit vor fünfzig Jahren zurück- weisen, wo es noch keine Hauptstadt Pest, keine Donaubrücke, DampfschifFfahrt und Eisenbahnen, keine Presse und Literatur, ja kaum eine gebildete magyarische Schriftsprache gab? Stolz fragt der Magyar : Was giebt es noch unter dem Monde, das ein Volk mit so unverwüstlicher, so elastischer National- kraft nicht schaffen und nicht erreichen sollte? Freilich, wer schärfer hinschauet, merkt auf dem Grunde der ungarischen Ideen etwas wie geheime Furcht lauern, ein Bangen vor jeder grossen Bewegung in der deutschen und der slavischen Welt. Die Politik des ungarischen Zukunftsreichs erschien mir vorderhand mehr wie eine Politik der Hast und Furcht und Versuche, als des gediegenen und zuversichtlichen Schaffens zu sein. Einstweilen schneidet, wer im Rohr sitzt, seine Pfeifen. Um des Himmels willen darf man keinen Magyar so etwas merken lassen. Sie streiten Einem alles ab, wissen alles zu entschuldigen und verflüchtigen die Gegenwart, indem sie im Nu an deren Stelle Zukunftsbilder von Glanz und Grösse aufrichten. Wo Bildung und Industrie niedrig stehen, führen sie ihre grossen Fortschritte auf, und wo auch diese fehlen, beweisen sie wenigstens ihre Möglichkeit. Schliesslich geben sie dem Fremden zu verstehen, dass er von ihrem Lande nichts Rechtes wisse, auch nicht wissen könne. Verweist man nun auf ihre eigenen Schriftsteller, z. B. auf die Schilderungen von Land und Leuten in Eötvös' Dorfnotar, die so ungemein anschaulich sind, dass man ihnen die Wahrheit anmerkt, so heisst es: „Ach das ist ja bloss Ungarn vor dreissig Jahren, das ist gerade so, als hätten Sie das Deutschland im Mittel- alter vor sich." Will sich der Fremde nun vertheidigen, indem er Ungarns glänzendsten Publizisten, M. Jokay, ins Feld führt, 14 so lautet die Entgegnung: „Ach der Jokay, das ist ein geist- reicher Schwätzer ; dar lügt eines Witzes halb, dass die Bäume krachen/' In einem ganzen Jahre höre und lese ich sonst nicht soviel Sonderbarkeiten, als ich in Pest am ersten Vormittag vernahm. Ungarische Bauern reiben sich Hemd und Leib fleissig mit Speck ein. Nun wurde mir erklärt: das sei nicht Schmutz, sondern etwas ganz anderes, nämlich ein Gegenstand der Toi- lette. Allerdings würde man den fleissigen Specksalbern Un- recht thun, sie Schmutzfinken zu nennen weil sie Schweinefett auf Hemd und Leib für eine Medizin gegen austrocknende Luft und sonst noch etwas halten: allein sind darum, kommt man in ihre Nähe, unsere Augen und Nasen besser daran? In keiner Stadt der Welt hört man soviel von Nation und Nationalsprache reden. Unter Nation ist aber nur die magya- rische gemeint, und als Nationalsprache für ganz Ungarn soll nur die magyarische gelten : die andern Völkerschaften Ungarns, — die Deutschen, Slovaken, Ruthenen, Südslaven und Wa- lachen, — sollen bloss eine Art Dorfsprache reden, bloss Rassen oder höchstens Nationalitäten sein. Nun bilden doch offenbar erst all diese Völkerschaften zusammen das ungarische Reich und im politischen Sinne hat der Zpser Deutsche oder der Ofener Raize so gut die Ehre, ein Uingar zu sein, als irgend ein Bürger von Kecskemet oder Ujvarhely. Allein da wurde mir von Magyaren bemerkt: es sei ein halber Schimpf, wenn ein Deutscher sie Magyaren nenne. „Wie? Euer grösster Stolz ist es ja, Euch als Magyaren zu bekennen ?^^ „Ja wohl, für uns selbst sind Avir Magyaren, für alle Andern aber die Ungarn." Allmählig begriff ich, dass sie sich für die eigent- lichen Ungarn hielten und eine Herabsetzung darin erblickten, wenn man ebenso wie von deutschen, serbischen oder walachi- schcn Ungarn von magyarischen Ungarn reden wolle. Ich, glaube sogar nicht fehl zu gehen, wenn ich bei dem Stock- inagyar in Bezug auf die deutschen und andern Ungarn eine älniliclie Vorstellung voraussetze, wie sie vor noch nicht langer 15 Zeit der gemeine Mann bei uns, wenn von deutscher Nation die Rede war, gegen einen Juden hegte, einerlei ob dessen Urväter schon vor tausend Jahren deutsch sprachen. Noch ein Beispiel aus jüngster Zeit sei hier gestattet Es erklärte Jemand den langjährigen Präsidenten des Abgeord- netenhauses Somssich für einen ruhigen eisernen Charakter. Ich erinnerte daran, wie dieser jüngst in seiner Rede zum Schlüsse der Landtagsperiode heftig und ohne allen Anlass über die Deutschen hergefallen sei, während wir uns doch nur gegen den frechsten Angriff vertheidigt hätten, auch von Frankreich nicht mehr Land uns angeeignet, als was früher zu Deutschland gehört oder durchaus nothwendig sei, um uns gegen neue Angriffe besser zu schützen. Somssich hatte gedonnert : „Wir sahen das Recht in den Hintergrund gedrängt, sahen den blutigen Kampf der rohen GcAvalt erneuert. Wir sahen, wie die aufgeklärte, mit ihrer Philosophie nach allen Seiten ein mildes Licht verbreitende, fleissige deutsche Nation ihre Kraft im blutigen Krieg erschöpfte." Als ich auf solche Rede hinwies und zusetzte, Somssich hätte nach den Zeitungen sich im Saale selbst noch viel gröber, wenn nicht alberner ausgedrückt, da hiess es auf euimal: „Ach der Somssich, ein ruhiger Charakter ist er zwar, aber auch ein gutmüthiger Faselhans, über den lacht Alles." Die Frage lag nahe: „Warum wähltet Ihr denn diesen Mann zu Eurem Präsidenten ?" Als ich ein paar Tage mit verschiedenen Leuten verkehrt hatte, wellte mir überall etwas von amerikanischer Geschäfts- luft entgegen. Das war ein ähnliches Jagen und Drängen, wie in Amerika, um die Erzeugnisse des Ackers vortheiliuiit zu versenden, die Heerden in Bewegung zu setzen, das Holz aus den Waldungen zu versenden, die Wasserkraft zu Anlagen zu benützen. Ungarn hat sich kopfüber in Geschäfte gestürzt: man erschrickt tödlich vor jeder störenden politischen Unruhe. Vor Planen und Rechnen um GeldgCAvinn und Landverbesserung hat man, gerade wie in Amerika, nur wenig Zeit übrig, um für die geistigen und sittlichen Güter, für die Veredelung des Volks 16 ernstlich zu sorgen und zu arbeiten. Man redet dafür um so mehr davon. Die alten ungarischen Grundbesitzer aber wun- dern sich über das viele lachende Geld^ das ihnen für Korn und Holz zufliesst. Wenn's nur nicht lauter leichte Gulden- scheine wären! Die Papierzettel fliegen aus dem Fenster wieder hinaus, wie sie herein kamen. Ja, wäre all das Geld hartes Metall, dann Hesse man sich schwere Lederbeutel machen, um es wohl zu verwahren, bis dann doch die gereisten Vettern und die deutschen Unternehmer und Juden kämen und dem alten Herrn zuredeten, wie er das Geld wieder anlegen müsse. Das Gemisch der Sprachen und Völkerschaften, die Stellung der Deutschungarn, die Leidenschaft für Politik und Prozesse, die grosse Menge der Advokaten, der Raubbau in Feld- und Forstwirthschaft,,die trockene reine Luft, die scharfe Winterkälte und die Gluthhitze im Sommer, die ewige Fieber- noth und grosse Sterblichkeit, selbst dies, dass die Pester Donauseite mit unabsehlicher Pallastreihe besetzt ist, während gegenüber das Erdufer desselben Flusses sich höchst unappetit- lich dahin zieht, — alles dies und noch viel anderes ist acht amerikanisch. Fast möchte man glauben, es bestände zwischen Ungarn und den Vereinigten Staaten eine Art Geschwister- ähnlichkeit, wenn nur die Ungarn nicht so unendlich viel Zeit mit Reden und Tafeln verbrächten, avo die Amerikaner schweigen und handeln. Beide greifen jedes Ding mit einer starken und fröhlichen Energie an: wenn aber der Ungar zu erlahmen anfängt, geräth der Amerikaner erst recht ins Feuer. Und ein anderer Unterschied sticht noch mehr in die Augen. Unter der niedern Bevölkerung in Ungarn herrscht noch eben so viel geistige Rohheit, als gerade in den untern Klassen in Nordamerika mittlere Bildung weit verbreitet ist. Zwei köstliche Punkte hat Pest, die man nimmer müde wird zu besuchen. Der eine ist die Margaretheninsel mit ihren stillen Baumgängen und ihrer Laubfrische, umrauscht von den Wogen der Donau, die daher strömt, Avie ungebändigte 17 Stromgewalt. Die ganze Insel erscheint wie getränkt und gebadet in diesem Wellenspiel, Der andere Punkt ist der hohe Blocksberg auf der Ofener Seite. Da überschaut man Pest, Avie es weit und einförmig sich ausbreitet hinter der grell- weissen hohen Zeile am Flusse, und wie unten sich malerisch 15 „ t)5 ,, 18 „ 1)5 5) 3 .. 105 ,, (i „ io(; V 4 „ 107 O 4 „ 1-^4 J> 15 12 von uhen lies Prokliatije njemtzi stiitt Prokliatiii yenszy. unten oben unten oben Wellung „ Wallung Zipser ., Zpser. Ungar ., Uinger. Schyren „ Szyren. Wesen ., Wesn. erste heisse. uralten Gegensatz. an Vorsprüngen. Brunft ,, Brunst. Völker „ Volkes. Kaipaks ,, Katzas. Es wild «j;ebeteu, dieso und ähuliche Drucklehler zu entscluildigeu, da der Vcrfiisser schou im März auf forne Reisen ging und das Buch zuinTheil während seiner Abwesenheit gedruckt wurde. h> «»1